Elfensteine & Huldufólk: Isländische Glaubensfrage


Eine der ersten Sachen, die man als Neuling über Island erfährt ist, dass die Menschen dort angeblich an Elfen glauben. Das ist für jemanden, der in einer säkular geprägten und bis auf Ausnahmen, doch auf dem Boden der Wissenschaft stehenden, Gesellschaft aufgewachsen ist, eher verwunderlich. Wie kann man in der heutigen Zeit, die so von technischen Wundern geprägt ist, immer noch den Glauben an kleine, unsichtbare Wesen behalten, die mit einer unheimlichen Macht ausgestattet sind. Das scheint doch aller Vernunft zu widersprechen. Aber glauben die Isländer wirklich an Elfen und andere Fabelwesen?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Die Siedler, die vor über 1000 Jahren auf die Insel kamen, nahmen ihren Glauben an die nordische Mythologie mit und damit nicht nur Óðinn und Freyr, sondern eben auch die mit diesen eng verwobenen Riesen, Elfen, Zwerge, Seeungeheuer und andere Fabelwesen. Zu dieser Zeit waren Naturphänomene, von denen auf Island eine so große Vielfalt vorkommt, unerklärt. Wissenschaft in der heutigen Form gab es nicht und so waren die natürliche und die übernatürliche Welt nicht von einander getrennt. Hätte man einen Isländer in der damaligen Zeit gefragt ob er an “übernatürliche Wesen” glaubt, so hätte er vielleicht die Frage gar nicht verstanden. Für die damaligen Menschen waren die nordischen Götter und ihre Begleitwesen das Natürlichste der Welt.

Dieser Glaube ließ sich auch durch die Christianisierung nicht vertreiben, die auf Island schon bald Einzug hielt. Zwar verschwanden die Götter nach und nach von der Bildfläche, aber die scheinbar unerklärlichen Naturphänomene blieben dennoch und es gab auch weiterhin keine Erklärung und so blieb der alte Glaube an, eigentlich ganz unchristliche, Fabelwesen dennoch. Wie diese aussahen, war nicht immer ganz klar. Terry Gunnell, Folkloristik-Professor der Háskolinn Íslands, hat dazu für einen wissenschaftlichen Artikel alte Quellen ausgewertet: Nach diesen stellte man sich die Elfen (Isländisch: Álfar oder Huldufólk) eine Art Parallelgesellschaft von bäuerlich lebenden Wesen, die, ganz wie die menschlichen Isländer auch, Landwirtschaft und Fischfang betrieben. Ihre Bauernhöfe und Kirchen fand man traditionell in natürlichen Felsformationen. Glaubt man vielen Geschichten, so sehen die elfischen Isländer eigentlich nicht anders aus als ganz normale Menschen, mit dem Unterschied, dass sie normalerweise unsichtbar sind. In Geschichten fällt häufig nur auf, dass es sich um Elfen handelt, wenn sie an Orten auftauchen, an denen man normalerweise keine Menschen erwartet und dadurch, dass es sich um Menschen zu handeln scheint, die man nicht kennt.

Für die Isländer in der damaligen Zeit, die eigentlich jeden in ihrem näheren Umfeld kannten und die auch auf dem Weg zu ihren Feldern selten Fremden begegneten, muss es tatsächlich unheimlich gewesen sein, auf Fremde zu treffen. Verschwanden diese dann auf einmal oder trugen eigenartige Kleider, dann war das Ganze natürlich umso unheimlicher. Elfenbehausungen findet man in Geschichten und Legenden häufig nahe an menschlichen Siedlungen, Bauernhöfen oder in der Nähe von Feldern. Das kann nach Gunnell ein Fels oder ein Hügel sein, den Menschen vermeiden, damit sie von den machtvollen Fabelwesen nicht bestraft werden.

Soweit also die Tradition: Aber was ist davon häufig übrig geblieben? In vieler Hinsicht unterscheidet sich das, was wir uns häufig unter Elfen vorstellen, recht deutlich von dem, was die traditionellen Álfar ausmacht. Schließlich wurde diese Vorstellung von vielen verschiedenen Medien, nicht zuletzt von den Herr-der-Ringe-Romanen von J. R. R. Tolkien beeinflusst. Tolkien orientierte sich bei seinen Elfen zwar auch an der nordischen Folklore, aber viel entsprang eben auch seiner eigenen Fantasie. Die Elfen sind für die Isländer in mancher Hinsicht auch zu einer Art Geschäftsmodell geworden. Natürlich ist es romantisch, Touristen Elfentouren anzubieten und ihnen Elfenfelsen zu zeigen. Auch die internationalen Medien nehmen das Thema immer wieder gerne auf und berichten immer wieder gerne, dass eine Mehrheit von Isländern an Elfen glaube. Die Studie, auf der diese Information basiert, wurde im Jahr 1998 veröffentlicht und von vielen Seiten kritisiert und letztendlich fehl interpretiert. Die ursprüngliche Studie und andere Untersuchungen können aber wohl dahin gedeutet werden, dass viele Isländer die Existenz von Elfen nicht vollständig verneinen wollen. Von festem Glauben ist die Mehrheit aber wohl doch weit entfernt. Vielleicht ist es auch nicht so wichtig, wie viele Isländer wirklich an Elfen glauben.

Fakt ist, dass es auch heute noch kleine Stücke von Feldern und Wiesen gibt, die nicht gemäht werden, weil sich dort Elfen aufhalten sollen, und Felsen, die aus dem selben Grund nicht weggeräumt werden. Das bedeutet nicht, dass die betreffenden Menschen fest an Elfen glauben, aber vielleicht wollen sie einfach das Risiko nicht eingehen, dass doch einmal etwas passiert. So ist es schließlich mit vielen abergläubischen Vorstellungen. Im Grunde ist es nicht anders, wenn einige von uns in manchen Situationen drei mal auf Holz klopfen.

Wandert man alleine in der isländischen Natur und betrachtet die wunderbare Landschaft, so kann man zumindest nachvollziehen, dass jemand der diese Wunder jeden Tag sieht, dem Glauben an das Übernatürliche nicht abgeneigt ist. Die interessante wissenschaftlichen Quelle von Terry Gunnell findet ihr hier in englischer Sprache. In diesem Beitrag der Kollegen vom Deutschlandfunk findet ihr ein Gespräch mit ihm in der deutschen Übersetzung.